Himmelsgedanken - Mai 2024

Wieviele Leute braucht man, um ein Lamm zu essen?
 
Ende April feierten die Juden das Passahfest, das Fest der ungesäuerten Brote, das an die Flucht aus Ägypten erinnert. In der Bibel steht genau, wie es abzulaufen hat. Ein Lamm soll geschlachtet werden und wenn die Familie zu klein ist, um das ganze Lamm zu essen, soll man sich mit den Nachbarn zusammentun, bis es genug Leute sind. Das erste Passahfest fand unter höchster Anspannung statt, die Hebräer bereiten sich auf die Flucht vor, sie packen alles zusammen, streichen Blut des Lammes an ihre Türen, warten auf den Aufbruch ins Ungewisse.


Da ist es gut, dass niemand alleine bleiben muss, da ist es gut, dass niemand übersehen wird.
Wie wäre das heute? Viele Menschen leben alleine oder in kleinen Familien, niemand von ihnen würde ein Lamm aufessen können. Dann sind da die Nachbarn, die man kennt, weil sie meine Pakete annehmen und die man grüßt, wenn man sie im Treppenhaus oder an der Grundstücksgrenze trifft. Vielleicht wirken manche etwas sonderbar oder unnahbar und arrogant. Aber wissen wir, wer sie wirklich sind? Was sie umtreibt und was sie für eine Geschichte haben?
Alles ist anonymer geworden. Und so stelle ich fest, dass auch mich dann keiner kennt und vielleicht nur am Rande wahrnimmt.

 

Und dann kommt der Auftrag Gottes: tut euch zusammen, damit niemand alleine das Leben bestreiten muss. Eßt, trinkt, tauscht euch aus, erzählt, was euch beunruhigt und freut, stärkt euch, macht euch satt.

 

Wie viele Menschen braucht man, um ein Lamm zu essen?

Vielleicht ist es mal Zeit eine Einladung auszusprechen. Menschen zu begegnen, die man nicht auf dem Schirm hatte, mit denen man sich das Dach teilt oder die Straße. Es muss kein Lamm sein, das man gemeinsam isst, aber vielleicht ein Kuchen.

 

Das mag ein großer Schritt sein, der Mut kostet, denn wenn man sich nicht kennt, könnte es ja auch sein, dass der andere komisch ist. Aber vielleicht entdeckt man Gemeinsamkeiten, stellt fest, dass der Nachbar von Gegenüber doch ganz lustig ist, oder die Frau in der Wohnung unter mir, gerne ins Kino geht, aber eben nicht alleine.


Es kann eine Gemeinschaft entstehen und sei es nur für einen Nachmittag.

Wer weiß, was aus der Zweckgemeinschaft in Ägypten entstanden ist. Die Erlebnisse schweißen zusammen. Wenn man sich kennt, behält man sich im Blick, hilft, wo es nötig ist, tröstet und ermutigt, lacht und weint.


Der Weg ins gelobte Land war weit und nicht immer einfach.
Der Weg durchs Leben womöglich auch nicht. Gut, dass ich nicht alleine gehen muss.

Und so kann ein Kuchenessen zu etwas verbindenden werden, etwas, dass das Leben feiert.

 

 

 

Sandra Reimann, Prädikantin und Presbyterin

 

Sandra Reimann

Als Krankenschwester ist Sandra Reimann immer nahe bei den Menschen. In ihrer Freizeit hält sie als Prädikantin Gottesdienste, schreibt immer wieder geistliche Texte wie diese Andacht und hat bis zum März 2024 als Presbyterin im Leitungsteam der Kirchengemeinde mitgewirkt.